Mit Kindern zu den Krampussen? Ein Erlebnisbericht

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(Beitrag vom 5. Dezember 2018) Die Umzüge der Krampusse sind ein bayerisch-österreichischer Brauch, bei dem Gestalten in gruseligen Kostümen durch die Straße ziehen, um böse Geister zu vertreiben. Während ihrer Umzüge verbreiten sie Angst und Schrecken unter den Besuchern. Dass die dämonischen Wesen seit letztem Jahr auch auf unserem Weihnachtsmarkt vertreten sind, sorgt für ordentlich Diskussionsstoff. Was hat das mit besinnlicher Weihnacht zu tun? Und kann man zu der Show bedenkenlos seine Kinder mitnehmen? Wir haben sie letztes Jahr mit meinen damals 5- und 7-jährigen Kindern besucht. Was wir dabei erlebt haben, erfahrt ihr im heutigen Erlebnisbericht mit überraschendem Ende.

Ich liebe Geisterbahnen. Jedes Jahr, wenn das Volksfest naht, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als eine Geisterbahn mit lebenden Statisten darin. Ich lasse mich dann vollkommen in die Spannung hineinfallen, kreische unkontrolliert und bin echt vergnügt. So oft müssen wir unsere Emotionen im Alltag im Zaum halten. Situationen wie diese hingegen, bringen die ausdrückliche Erlaubnis mit, sich ihnen hinzugeben.

Klar, dass ich sofort interessiert bin, als ich 2017 zum ersten Mal von den Krampussen lese. Schaurig-schöne Gestalten, die durch die offene Straße laufen und die Menschen erschrecken? Wer braucht da noch eine Geisterbahn? Allerdings frage ich mich schon, was das denn mit Weihnachten zu tun hat. Besinnlich geht anders. Und überhaupt: Halli Galli haben wir doch das ganze Jahr über genug. Andererseits finde ich die Adventszeit in Österreich immer besonders schön. Man kann wirklich nicht behaupten, die Österreicher hätten keine Ahnung von Weihnachten. Und mystische Wesen passen dann doch wieder irgendwie in den Advent. Ich beschließe, offen zu sein und mich auf die fremde Kultur einzulassen.

Aber noch etwas anderes bringt mich zum Grübeln. Die Frage danach, ob man seine Kinder zu so einer Veranstaltung mitnehmen sollte. Ich lese Kommentare in den sozialen Medien. Und natürlich scheiden sich hier die Geister. Die einen finden, dass das sicher lustig wird. Die anderen kramen schon hektisch nach der Telefonnummer des Jugendamts. Hin- und hergerissen klappe ich meinen Laptop zu.

Ich rufe die Kinder und zeige ihnen Fotos. Ich erkläre, dass es sich bei den Gestalten um verkleidete Menschen handelt, die dafür bezahlt werden, durch die Straßen zu laufen und Leute zu erschrecken, damit diese sich gruseln können. Ich sage, dass sie in ein paar Tagen auch auf unseren Weihnachtsmarkt kommen. Und dass es sich dabei um einen Brauch handelt, der dafür da ist, alles Böse zu vertreiben. „Greifen die uns an, Mama?“, lautet die erste Frage meiner Kinder. Ich sage den Beiden, dass ich nicht genau weiß, was sie machen, aber ich gelesen habe, dass nur freche Menschen damit rechnen müssen, angegangen zu werden. Ich versichere ihnen aber, dass das alles nur Spaß ist und es ja darum geht, sich zu gruseln. Die Augen meiner Kinder werden immer größer. Wir beschließen, ein Video bei YouTube zu suchen.

Fotos: Stephan Weiss

Die Aufnahmen zeigen immer das Gleiche: Zottelige Wesen mit dämonischen Masken ziehen lärmend durch die Straßen. Bei manchen leuchten die Augen rot. Ab und zu rennt eine Gestalt auf einen Besucher zu. Besonders Mutige stellen sich ihnen in den Weg und werden prompt in den Schwitzkasten genommen. Die Kinder staunen und wissen nicht so recht. Auch ich bin unsicher. Ich sage ihnen, dass ich sie natürlich niemals irgendwo hinbringen würde, wo es wirklich gefährlich ist. Und dass bei der Show niemand ernsthaft Schaden nimmt. Alles nur Quatsch, alles ganz harmlos. Ich sage ihnen aber auch, dass sie selbst entscheiden sollen, ob wir es versuchen wollen.

Am nächsten Tag steht es fest: Wir besuchen zum ersten mal den Lauf der Krampusse. „Ich passe immer gut auf Euch auf. Wir nehmen Euch auf den Arm und halten Euch ganz fest, ja? Und wenn es zu viel wird, gehen wir einfach wieder“, versichere ich nochmal während der Autofahrt. Die Kinder sind total aufgedreht, freuen sich, und ja, sie sind auch etwas ängstlich.

Wir fahren ein paar Runden Karussel, dann positionieren wir uns zusammen mit vielen anderen Besuchern neben dem Glühweinstand. „Ihr braucht überhaupt keine Angst haben, wirklich nicht“, verspreche ich wiederholt und verfluche mich innerlich für meine Wortwahl. Denn man kann auch noch so oft „keine Angst“ sagen, am Ende ist das Wort „Angst“ dabei. Ich muss zugeben, ich bin jetzt selbst etwas nervös. Hoffentlich bereue ich diese Aktion hier nicht. Dass auch einige andere Familien mit ihren Kindern hier sind, beruhigt mich ein bisschen.

Plötzlich hören wir von der Marienkirche aus Lärm. Alle blicken gespannt Richtung Sonnenplatz. Dort brennt die Luft. Wir sehen rote, bengalische Feuer, die immer näher kommen. Mein Sohn hält sich auf meinem Arm an mir fest. Meine Tochter drückt sich an meinen Lebensgefährten. „Laufen die nur in der Mitte?“, ruft sie. „Ich glaube schon, die Leute müssen sie ja sehen“, antworte ich. Gleichzeitig versetzt mich die Tatsache, dass ich eigentlich überhaupt nicht weiß, was als Nächstes passiert, ganz schön in Stress.

Fotos: Stephan Weiss

Die Meute kommt immer näher und nun sehen wir auch die ersten Schreckgestalten. An den Kostümen sind Schellen befestigt. Dazu machen große Glocken so richtig Radau. Ein aufmüpfiger Junge, vielleicht zehn Jahre alt, tanzt frech vor ihnen herum und wird auch sogleich gejagt. Oh Gott. Intuitiv rücken wir näher zusammen und reden mit den Kindern. „Schau mal, was der für Hörner hat! Und schau mal der, der ist ja riesig!“ Meine Tochter kreischt „Ich will nicht, dass der mich auspeitscht!“ und ich verspreche, dass hier niemand irgendwen auspeitscht. Ich merke, dass ich dringend meine eigene Aufregung regulieren muss, um die Kinder nicht verrückt zu machen. Wir lachen über einen übermütigen Erwachsenen, der einer Figur den Weg versperrt und sie filmt. Prompt wird ihm das Handy weggeschnappt und er muss hinterher rennen. Mutige Glühweintrinker provozieren von allen Seiten. Das ist Vor- und Nachteil unseres Stehplatzes: Einerseits werden die Geschöpfe von uns abgelenkt, andererseits halten sie sich so immer in unserer Nähe auf.

Doch als die Krampusse sich plötzlich auch von hinten nähern, schlägt die Stimmung bei meiner Tochter um. Sie beginnt zu weinen. Scheiße. Sie hat Angst, weil sie die Situation nicht kontrollieren kann. Mein Muttergewissen könnte in diesem Moment nicht schlechter sein. Wir halten die Siebenjährige ganz fest auf dem Arm, reden beruhigend auf sie ein und fragen, ob wir gehen sollen. Mein Fünfjähriger steht bis dato nur da und beobachtet gespannt das Treiben. Und dann kommt der Gipfel des Ganzen: Die größte der Gestalten läuft auf ihn zu, streichelt mit ihrer Krallenhand über seinen Kopf, geht in die Hocke und breitet ihre Arme aus. Ach du Scheiße! Mein Sohn – ich kann’s überhaupt nicht glauben – löst sich in Zeitlupe aus meinen Armen und lässt sich knuddeln. Ich mache mich bereit, das Vieh jederzeit an seinen Hörnern zu packen. Mein kleiner Mann verschwindet regelrecht in dem weißen Pelz. Nochmals streichelt das Wesen mit seinen Pranken über den winzigen Kopf meines Jüngsten und zieht dann weiter. Meine Tochter hat das Aufeinandertreffen beobachtet und sich beruhigt.

Fotos: Stephan Weiss

Als die Meute weggezogen ist, beschließen wir einstimmig, dass es Zeit ist, zu gehen. Wir kaufen noch etwas Süßes, dann laufen wir zum Parkhaus. Meine Kinder sind total aufgedreht und plappern ohne Punkt und Komma. Ich interpretiere das als Erleichterung. In der Altstadtpassage fragt meine Tochter, ob die Krampusse nächstes Jahr wiederkommen. Ich antworte, dass ich es nicht weiß. „Wenn die wiederkommen – gehen wir dann wieder hin, Mama?“, fragt mich die Kleine. „Lieber nicht, oder?“, entgegne ich unsicher. „Dooooch!“, schreien mir die hüpfenden Kinder entgegen und ich falle aus allen Wolken. „Aber du hattest doch total Angst?“, frage ich meine Tochter, die sich gerade eine schokoladenüberzogene Erdbeeree in den Mund stopft. „Ja, aber die machen ja nix“, antwortet sie schmatzend, „nur wenn man sie ärgert.“ Und mein Sohn platzt fast vor Stolz, als ich ihn auf seine mutige Umarmung anspreche. „Ich wollte, dass die sehen, dass ich nicht einer von den Frechen bin!“, erklärt er fröhlich. Ja, ja – denke ich mir. Wenn die nur wüssten! Doch ich verkneife mir, ihm das zu sagen. Denn darüber, ob man Kinder mit zu den Krampussen nimmt, kann man gerne mit mir diskutieren. Darüber, ob man Kinder mit Angst erziehen sollte, hingegen nicht.

Fotos: Stephan Weiss

Wir gehen also wieder hin. Denn wir haben einiges dazu gelernt. Ich zum Beispiel habe mal wieder festgestellt, dass man seine Kinder manchmal so sehr vor unangenehmen Gefühlen schützen willl, dass man ihnen die Erfahrung verwehrt, was es bedeutet, sich zu überwinden, nur um dann festzustellen, dass es sich gelohnt hat, weil man dafür etwas Tolles erlebt hat. Davon abgesehen sind negative Emotionen – so ungern wir das akzeptieren wollen – genauso normal, wie positive. Mit beiden muss man umgehen lernen. Völlig ungefährliche Situationen wie diese sind dafür vielleicht eine gute Übungsmöglichkeit.

Meine Kinder haben gespürt, dass sie sich auf uns verlassen können. Wir haben gesagt, dass das Ganze gruselig wird, dass aber niemandem etwas geschieht und dass wir jederzeit gehen können. Genauso ist es gewesen. Sie haben das ganze Jahr über immer mal wieder von dem Erlebnis erzählt und erinnern sich gerne. Diese Erfahrung hat kein Geld gekostet. Dafür aber Mut, der sich gelohnt hat.

Zusammenfassend kann ich Euch deshalb aber nicht sagen, ob Ihr mit Euren Kindern dort hingehen solltet. Jedes Kind ist anders. Jeder Elternteil ist anders. Und das ist völlig okay so. Wir für unseren Teil sind am Samstag jedenfalls vertreten. Vielleicht sehen wir uns ja?

 

Herzlichen Dank an Stephan Weiss für die tollen Fotos! Mehr von Stephan gibt’s auf seiner Facebook-Seite.

 

 

4 Kommentare

  1. Dein Erfahrungsbericht könnte eigentlich von mir stammen. Es war bei uns ganz genauso. Mein Großer war letztes Jahr 6 und mein Kleiner 5. wir haben erst drüber gesprochen, was passiert und wer die sind und haben uns dann Videos auf you Tube angeschaut und uns dann alle miteinander entschlossen, dass nur unser 6-Jähriger mitgeht und der 5-Jährige zu Hause bleibt. So seine Entscheidung. Am Krampuslauf ist uns dann auch das Gleiche wie euch passiert und die Krampusse haben meinen Großen sogar „weggetragen“, ihn natürlich gleich wieder gebracht und mit ihm geknuddelt. Er war mega mutig und stolz wie Bolle und ich habe natürlich alles gefilmt. Wir haben sie dann noch bis zum Hotel Strauß begleitet, wo sie sich vor dem Hotel die Masken abgenommen haben und mein Sohn hat gesehen, dass unter den Kostümen tatsächlich „normale“ Menschen befinden. Zu Hause angekommen berichtete er dem kleinen Bruder mega stolz was passiert war und nun haben wir uns dieses Jahr das Video der „grölldeifl“ angeschaut, genau die Krampusse die zu uns kommen werden und er durfte sich erneut entscheiden. Diesmal möchte auch der Kleine mit. Wir werden sehen. Er ist dieses Jahr dann 6 und für ihn ist es dann dieses Jahr sein erster Krampuslauf. ?

    1. Das ist ja noch besser, wenn die Kinder sehen, wie die Menschen ihre Masken abnehmen! Das werden wir dieses Jahr dann vielleicht auch so machen. Danke für den Tipp und viel Spaß Euch!♥️

  2. Einfach nur Danke. Ich mag die Art wie Du erzählst, wie Du denkst und handelst. So authentisch geschrieben, man hat beim Lesen das Gefühl direkt neben Euch zu stehen.

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